| | | | | Ihr tägliches News-Briefing um 18 Uhr | | | Montag, 24. Januar 2022 | | | | | | | | | | | | die drei Fragezeichen heute:- Deutschland und Putin: Frieden schaffen ohne Waffen?
- Corona: Wer hat vergessen, genug Tests zu bestellen?
- Missbrauch: Warum hat der Ex-Papst die Unwahrheit gesagt?
| | | | | | | | | | | 1. Peace, Putin!Wer hat vor gut drei Jahrzehnten den Kalten Krieg gegen die Sowjetunion beendet? Nein, liebe Bundesregierung, das waren leider nicht die deutschen Ostermarschierer in ihren Jesuslatschen, nicht die Ärzte gegen den Atomkrieg und auch nicht Joseph Beuys. Über sie alle hat man beim Russen vermutlich herzlich gelacht. Der Kalte Krieg ging zu Ende, weil als Kriegstreiber gescholtene Politiker wie US-Präsident Ronald Reagan die Sowjetunion so lange wirtschaftlich und militärisch unter Druck setzten, bis das Regime zusammenbrach. Und dann kam auch noch David Hasselhoff. Von wegen »Frieden schaffen ohne Waffen«. | | | | | | | | | | | | | Bundeskanzler Olaf Scholz MICHAEL KAPPELER / AFP | | | | | | | | So gesehen wirkt es einigermaßen lächerlich, mit welchen Mitteln die deutsche Politik heute auf Russlands Aggressor einwirken will. Während Wladimir Putin mehr als 100.000 Soldaten mit schweren Waffen an der Grenze zur Ukraine aufmarschieren lässt, läuft die Bundesregierung unter Scholz weiter wie in Jesuslatschen herum. Einen möglichen Ausschluss Russlands aus dem internationalen Zahlungssystem Swift lehnt sie ab. Das Pipelineprojekt Nord Stream 2 stellt sie grundsätzlich nicht infrage. Waffenlieferungen an die Ukraine? Friedensdeutschland sagt Nein. Peace, Putin! Nicht nur Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko hält das für unterlassene Hilfeleistung. Nach SPIEGEL-Informationen hat die Bundesregierung heute immerhin beschlossen, ihren Widerstand gegen einige zusätzliche EU-Maßnahmen wegen der Annexion der Krim aufzugeben. Fünf weitere Personen oder Organisationen könnten demnach mit Zustimmung Deutschlands auf der Sanktionsliste der EU landen. Eine entsprechende Weisung hat Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) erlassen, wie der SPIEGEL erfuhr. Wird das reichen, um Putin von einem möglichen Einmarsch in die Ukraine abzuhalten? Außerhalb von Deutschland scheint das kaum jemand zu glauben. Die Nato hat heute Vormittag verkündet, ihre Militärpräsenz in Osteuropa zu verstärken; Dänemark und Spanien sind dabei, die USA und Frankreich erwägen es. US-Präsident Joe Biden denkt laut einem Bericht der »New York Times« darüber nach, bis zu 5000 Soldaten sowie Flugzeuge und Kriegsschiffe zu schicken. Der britische Premier Boris Johnson drohte gegenüber Putin, eine Invasion wäre auch aus russischer Perspektive eine »schmerzhafte, gewalttätige und blutige Angelegenheit.« Man mag Johnson für eine seltsame Figur halten. Doch anders als Scholz spricht er eine Sprache, die Putin versteht. 2. Deutschland kapituliert vor der Omikron-WandBund und Länder trafen sich heute wieder zum Coronagipfel. Offiziell geht es darum, Handlungsfähigkeit zu beweisen. Tatsächlich handelt es sich um eine Kapitulationserklärung. Omikron ist einfach zu stark. Eine Sieben-Tage-Inzidenz von mehr als 800 zwingt die Regierung dazu, von eigenen Vorgaben abzurücken. Die besonders zuverlässigen PCR-Tests werden rationiert. Es sind nicht genug für alle da. Laut Recherchen unseres Hauptstadtbüros werfen mehrere CDU-Länderchefs Gesundheitsminister Karl Lauterbach vor, nicht rechtzeitig genug Nachschub organisiert zu haben. Die SPD hingegen sagt, es handele sich um eine Erblast von Vorgänger Jens Spahn. | | | | | | | | | | | | | Gesundheitsminister Karl Lauterbach (r., SPD) mit seinem Vorgänger Jens Spahn (CDU) Florian Gaertner/photothek.de / imago images/photothek | | | | | | | | Außerdem sollen sich die Gesundheitsämter laut Beschlussvorlage künftig auf die Kontaktnachverfolgung in bestimmten Coronafällen konzentrieren: im Klinik- und Pflegebereich sowie in Einrichtungen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung. Somit bin ich der Zeit mal wieder voraus. Bei mir hat sich das Gesundheitsamt schon letzte Woche nicht mehr gemeldet, obwohl unsere halbe Familie (geimpft und geboostert!) an Corona erkrankte. Nur gut, dass es private Messengerdienste gibt, so konnten wir unsere Kontaktpersonen schnell warnen. Ich muss gestehen, dass mein Vertrauen in die Handlungsfähigkeit staatlicher Institutionen in den vergangenen zwei Jahren gelitten hat. Täuscht der Eindruck oder steuert die Regierung immer noch wie im Blindflug durch die Krise? Mein Kollege Claus Hecking hat recherchiert, wie die Weltgesundheitsorganisation WHO zu ihren Daten über den Pandemieverlauf kommt. Dabei fand er heraus, dass sie in Teilen vom spendenfinanzierten Webportal Our World in Data (OWID) abschreibt. Dieses wiederum ist im Wesentlichen das Werk eines einzigen Menschen namens Edouard Mathieu, der sich seine Daten teilweise aus sozialen Netzwerken zusammenklauben muss. »Mathieu hielt die Zahlen für wichtig«, schreibt Claus. »Also beschloss er, selbst Buch zu führen. Weil es sonst niemand tat und weil die Weltgesundheitsbürokratie mit sich selbst beschäftigt war.« 3. Der Papst – doch nicht unfehlbarDer emeritierte Papst Benedikt XVI., bürgerlich Joseph Ratzinger, hat eine Falschaussage eingeräumt. Es geht um seinen Umgang mit den Fällen von sexuellem Missbrauch in seiner Zeit als Erzbischof der Erzdiözese München-Freising von 1977 bis 1982. Der konkrete Fall dreht sich um Priester Peter H. Der Geistliche soll vielfach Jungen missbraucht haben, wurde wieder als Seelsorger eingesetzt und Jahre später rechtskräftig wegen Kindesmissbrauchs verurteilt. Er soll immer wieder rückfällig geworden sein. | | | | | | | | | | | | | Papst Benedikt XVI. (2013): Fehler in der Aussage Franco Origlia / Getty Images | | | | | | | | Über die Aufnahme des Priesters in München war in einer Sitzung im Januar 1980 entschieden worden. Benedikt XVI. hatte angegeben, er sei bei dieser Sitzung nicht anwesend gewesen. Das war falsch, wie er nun in einer Stellungnahme korrigierte, über die mehrere Medien berichten. Demnach habe er doch an der Sitzung teilgenommen. Kleines Versehen. Dies tue ihm »sehr leid«, und er bitte, dies zu entschuldigen. Wie es zu dem Versehen gekommen sei, wolle er in einer weiteren Stellungnahme erklären. Priester H. ist einer von 235 mutmaßlichen Tätern, die das Missbrauchsgutachten einer Anwaltskanzlei für das Erzbistum München identifiziert hat. Die Juristen haben als externe Prüfer Dutzende Personalakten, Sitzungsprotokolle und Nachlassbestände ausgewertet und Zeitzeugen befragt. Ihr Gutachten nennt insgesamt 247 männliche und 182 weibliche Betroffene. Die meisten von ihnen waren Kinder und Jugendliche, als sich die Vorfälle ereigneten. | | | | | | | | Was heute sonst noch wichtig istWas derzeit über Omikron bekannt ist: Die Omikron-Welle rollt durch Deutschland, während die Ministerpräsidentenkonferenz über weitere Maßnahmen berät. Ein Überblick zu der Variante – von der offenbar schon ein weiterer, infektiöserer Untertyp grassiert. Nato plant, Truppenstärke in Osteuropa zu vergrößern: Die Nato will weitere Schiffe und Kampfflugzeuge in Osteuropa stationieren. Man werde »alle notwendigen Maßnahmen ergreifen«, so Generalsekretär Stoltenberg. Großbritannien zieht derweil Botschaftspersonal aus Kiew ab. Habeck stoppt Förderprogramm zur energetischen Sanierung: Immobilienbesitzer hatten auf staatliche Unterstützung für die Wärmedämmung ihrer Häuser gehofft. Bei der KfW stapelten sich – wenig überraschend – kurz vor Auslaufen des Programms die Anträge. Jetzt kommt das böse Erwachen. Der Superheld unter den Designern: Er entwarf Kleidung, die glamourös, aufregend und skandalös zugleich war: So revolutionierte Thierry Mugler seit den Siebzigerjahren die Modebranche. Die Stars liebten ihn dafür – wie Fotos aus fünf Jahrzehnten beweisen.
Meine Lieblingsgeschichte heute: Finnlands AtomgrabNahe der finnischen Kleinstadt Eurajoki führt ein kilometerlanger Tunnel ins Erdinnere. Die Einheimischen nennen ihn »Onkalo«, auf Deutsch: »Höhle«. Hier sollen ab 2025 alte Brennstäbe aus finnischen Atomkraftwerken begraben werden, für mindestens 100.000 Jahre. Mein Kollege Uwe Buse war gerade dort, er schreibt: »Die ersten Stollen existieren schon, man erreicht sie nach zehnminütiger Fahrt durch den Zugangstunnel, der sich wie eine gigantische Wendeltreppe in die Tiefe schraubt. Zehn Prozent beträgt das Gefälle, es geht vorbei an geparkten Radladern, an Lastern, deren Front immer nach oben weist. Gearbeitet wird am Endlager im Schichtbetrieb, ab Freitag gegen 15 Uhr ruht hier alles. Es gibt keinen Grund zur Eile, man liegt gut im Plan.« | | | | | | | | | | | | | Stollen im künftigen Endlager Onkalo Juuso Westerlund / DER SPIEGEL | | | | | | | | Wie haben die Finnen geschafft, woran Deutschland bis heute scheitert? Uwe zitiert den Verwaltungschef der Kleinstadt, der sagt: »Wir Finnen sind Pragmatiker, wir brauchen ein Endlager, weil wir den Atommüll nicht exportieren können, also bauen wir eins.« So klar, so logisch. Der Gemeinderat von Eurajoki hätte den Bau mit einfacher Mehrheit ablehnen können. Doch es gab eine große Mehrheit dafür. Der Sprecher der wenigen Endlagergegner ist inzwischen in Rente und hat seinen Widerstand offenbar aufgegeben. Die Grünen sind in Finnland übrigens auch keine entschiedenen Atomkraftgegner mehr. Aus Gründen des Klimaschutzes haben sie sich mit der eingeschränkten Nutzung abgefunden. Uwe beschreibt, dass die Finnen ihrem Staat und seinen Institutionen großes Vertrauen entgegenbringen. Die Atomdebatte werde weniger emotional geführt als in Deutschland. Kein Finne kettet sich an Eisenbahnschienen. Uwe schreibt: »Es ist egal, mit wem man in Eurajoki über das Atomkraftwerk, das Endlager spricht, früher oder später geht es immer um Vertrauen. Vertrauen in den Staat, in Experten, in Technik und Wissenschaft. Und dieses Vertrauen ist erstaunlich oft vorhanden.« Man wünscht sich etwas von dem Vertrauen und dem finnischen Pragmatismus für Deutschland. Ein Endlager brauchen wir schließlich auch, wenn nicht in Gorleben, dann an anderer Stelle in Deutschland. Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlenWer in Deutschland heute noch Chef werden will: Unternehmen finden kaum noch qualifizierten Nachwuchs – vielen ist Selbstverwirklichung wichtiger als Karriere. In diese Lücke drängen nun junge Menschen aus Migrationsfamilien. Sie haben offenbar etwas, das anderen fehlt: Biss. Kommt es auf dem Immobilienmarkt zum Zinsschock? Die Finanzaufsicht Bafin hat die Auflagen für Baufinanzierungen verschärft. Für Haus- und Wohnungskäufer könnte es auch deshalb teurer werden. Worauf es jetzt zu achten gilt. Wenn dich Donald Trump täglich um Geld anbettelt: Offiziell buhlt die Kampagne des Ex-Präsidenten um politische Spenden. Tatsächlich steuert Donald Trump enorme Summen in die eigene Tasche. Hauptopfer: Rentnerinnen und Rentner. Patriarchaler Kink und Sternensuche im Schmodderhaus: Alte Geschlechterbilder, neue Geschäftsmodelle und eine Zeitreise ins Mittelalter: Tag drei zeigt das Dschungelcamp neigungsmäßig sehr breit aufgestellt. | | | | | | | | Was heute weniger wichtig ist | | | | | | | | | | | | | Melania Trump Ron Sachs / ZUMA Press / Alamy / mauritius i | | | | | | | | Kleiderkreisel: Melania Trump, 51, mustert alte Kleidungsstücke aus. Etwa den weißen Hut mit breiter Krempe, den Amerikas Ex-First Lady 2018 beim Staatsbesuch des französischen Präsidenten Emmanuel Macron und seiner Frau Brigitte trug. Auf ihrer Homepage bietet sie ihn zum Verkauf an, »getragen und signiert von Melanie Trump«, wie es in der Auktionsbeschreibung heißt. Das Mindestgebot liegt bei 250.000 Euro. Eine Aquarellzeichnung ihres Gesichts mit dem Hut sowie ein digitales Kunstwerk gibt es gratis obenauf. Bis morgen dürfen Sie mitbieten.
Tippfehler des Tages, inzwischen korrigiert: »Ukrainekonflikt: Solidaritätsaktion in Georgien, Washington ordert Amerikaner auf, Land zu verlassen« | | | | | | | | | | | | | | Szene aus »Die Wannseekonferenz«: Absprache zum Massenmord Mathias Bothor / ZDF | | | | | | | | Meine Familie trifft sich heute um 20.15 Uhr vor dem Fernseher und schaltet das ZDF ein. Dort läuft »Die Wannseekonferenz«. Regisseur Matti Geschonneck schildert das Treffen führender Vertreter des NS-Staats am 20. Januar 1942 zur sogenannten »Endlösung der Judenfrage«, also der systematischen Ermordung von Millionen Juden in Europa. Als Grundlage fürs Drehbuch dient das Protokoll von Adolf Eichmann, dem leitenden Mitarbeiter von Reinhard Heydrich, damals Chef der Sicherheitspolizei und stellvertretender »Reichsprotektor« in Böhmen und Mähren. »Matti Geschonnecks ›Die Wannseekonferenz‹ ist ein strenges, finster entschlossenes Meisterwerk«, schreibt mein Kollege Wolfgang Höbel, der den Film bereits gesehen hat. »Mit maximaler Konzentration legt er das Prosaische und Grausame eines fast gewöhnlichen Beamtentreffens offen. In mal gestresster, mal zum Scherzen gelockerter Runde reden seine Protagonisten mit deutscher Gründlichkeit über die technischen Details der Auslöschung von Menschen, als handle es sich um Baugenehmigungen.« Es wäre unpassend, Ihnen bei einem solchen Programm einen »schönen Abend« zu wünschen. Kommen Sie trotzdem gut durch die Nacht Herzlich Ihr Alexander Neubacher | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Jetzt laden: Die SPIEGEL-App für iOS und Android | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | DER SPIEGEL GmbH & Co. KG Ericusspitze 1 • 20457 Hamburg Tel. 040 3007-0 E-Mail: spiegel@spiegel.de
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