| | | | | | | | | Ihr Morning-Briefing um 6 Uhr | | | Mittwoch, 2. Februar 2022 | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Stellvertretende Ressortleiterin Ausland, DER SPIEGEL | | | | | | | | Liebe Leserin, lieber Leser, | | | | | | | | | | | heute geht es um die Verortung von Olaf Scholz. Um die Lockerungsmaßnahmen bei unseren Nachbarn in Europa. Und um den Dschungel auf der Straße. Wer Führung bestellt, der bekommt den UnsichtbarenAuf Twitter, was ja für uns Journalistinnen und Journalisten gleichbedeutend ist mit der echten Welt, fragen sich viele, wo eigentlich Olaf Scholz ist. Also der Bundeskanzler Olaf Scholz. Sie kennen ihn sicher, er war mal Bürgermeister in Hamburg. Twitter ist laut und unfair, natürlich, aber in diesem Fall leider amüsant. »Jemand muss Olaf Scholz sagen, dass er auf mute geschaltet ist«, twittert ein Nutzer. Ein anderer sagt, Scholz sei der ideale Baumarkt-Mitarbeiter – ich möchte darauf nicht weiter eingehen. Einige fragen, ob er es vielleicht nicht mitbekommen hat, dass er jetzt Bundeskanzler ist. Wimmelbilder, auf denen jemand Olaf Scholz entdeckt haben will. Memes, in denen Scholz auf dem Körper von Homer Simpson in einer Gartenhecke verschwindet. | | | | | | | | | | | | | Gut, sie ist schon lange weg, aber wo ist er? Axel Schmidt/ AFP | | | | | | | | Amüsant, bis einem die dunklen Gedanken kommen. Bis man sich erinnert an den diplomatischen Verkehr und die Energie, die Angela Merkel 2014 aufbrachte, um Europa zusammenzuhalten – damals, als die Ukraine schon einmal überfallen wurde. Die Frage nach Scholz ist nicht nur ein Twitterphänomen. Viele Nachbarn schauen mit Argwohn zu uns. Auch wenn die Kritik teilweise überschießend ist: Der Wunsch nach klareren, auch öffentlich hörbaren Worten und so etwas wie einem Plan, ist nachvollziehbar. Auch politische Beobachter stellen sich die Frage. Ulrich Speck vom German Marshall Fund schrieb etwa sinngemäß: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron telefoniert mit Wladimir Putin, bereits das zweite Mal innerhalb weniger Tage; womöglich treffen die beiden sich in den nächsten Tagen oder Wochen. Großbritanniens Premierminister Boris Johnson reist zu Präsident Wolodymyr Selenksyj nach Kiew, verspricht Waffen, Geld und schärfere Sanktionen gegen Moskau. Nur Scholz rede mit niemandem und fahre auch nirgends hin. | | | | | | | | Die Frage ist berechtigt, wie der deutsche Bundeskanzler (»Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch«) die Dinge sieht. Und was er eigentlich über die Bedrohung der Ukraine durch Russland denkt. Was seines Erachtens nach die Rolle seines Landes sein sollte. Es ist nachvollziehbar, dass er die Russlandfreundlichkeit einiger SPD-Mitglieder oder Ministerpräsidentinnen nicht regelmäßig kommentiert und damit aufwertet; aber hat er zum Richtungsstreit in seiner Partei wirklich gar nichts zu sagen? Und da doch die Außenpolitik, wie SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich ja gesagt hat, insbesondere im Kanzleramt gemacht wird, könnte der Kanzler diese ja erklären. Man könnte sogar sagen: Das kann man von ihm erwarten. Heute sollte der Bundeskanzler übrigens zumindest für seine Ministerinnen und Minister zu sehen sein – er leitet laut Terminkalender die Sitzung des Kabinetts. Frankreich lockert, Norwegen macht auf – wer folgt?Vor nicht allzu langer Zeit hatte Frankreich noch mehr als eine halbe Million Infektionen – an einem Tag. Heute lockert das Land die Coronaregeln schrittweise: Unter anderem fallen die Kapazitätsbeschränkungen für Veranstaltungen weg, die Französinnen und Franzosen müssen draußen keine Maske mehr tragen, sie können weiterhin im Homeoffice arbeiten, müssen aber nicht. Sie dürfen bald wieder ihren Kaffee im Stehen im Café trinken, und, aus deutscher Sicht vielleicht eine der wichtigsten Lockerungen: Das Essen und Trinken in Zügen ist bald wieder erlaubt. Solch eine Einschränkung einer der wichtigsten Kulturtechniken wäre bei uns ja gar nicht erst möglich gewesen. | | | | | | | | | | | | | Setzt manchmal auf mehr Konfrontation mit den Bürgerinnen und Bürgern: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Michel Euler / dpa | | | | | | | | Wie ist das alles in Frankreich möglich? Vielleicht sind zwei Gründe ausschlaggebend: Zum einen hat Frankreich eine sehr hohe Impfquote. Laut Gesundheitsministerium haben 93,5 Prozent aller Französinnen und Franzosen ab zwölf Jahren mindestens eine Impfdosis, 91,2 Prozent haben zwei, 55 Prozent sind geboostert. Zum anderen: Die Regierung, aber vor allem Staatspräsident Emmanuel Macron, traut sich was. Belohnt werden die Geimpften – sie sind es, die wieder normaler leben werden. Die Ungeimpften, ja, die müssen mit den Konsequenzen ihrer Entscheidung leben. Und der Eiffelturm ist deshalb noch nicht eingestürzt. Es wird gelockert, aber es bleibt auch die 2G-Regel landesweit. Danach kann nur am sozialen Leben teilnehmen, wer den Impf- oder Genesungsnachweis vorzeigen kann, »freitesten« gibt es nicht. Das ist keine Impfpflicht durch die Hintertür, sondern ziemlich direkt durch den Vordergarten. Sicher finden das nicht alle Französinnen und Franzosen toll, aber weniger toll finden sie, ihren Kaffee nicht mehr im Stehen trinken zu können. Also, was soll's, lass ich mich halt impfen, scheint die Haltung zu sein. Murren, aber machen. Macron schlug zuletzt einen nicht sehr charmanten Ton gegenüber Impfunwilligen an. Und ist trotz massiver Kritik nicht zurückgerudert. Nun wird die Mehrheit des Landes in den Genuss neuer alter Freiheiten kommen, die das Ergebnis einer Politik sind, die wenig Angst vor dem Bürger hat. Das schmerzt vielleicht eine ungeimpfte Minderheit, ist aber am Ende die respektvollere Haltung. Vielleicht zahlt es sich für Macron aus, Anfang April findet die Präsidentenwahl statt. In vielen Ländern Europas gehen die Lockerungsbemühungen derzeit allerdings noch sehr viel weiter. In Dänemark sind seit gestern alle Coronabeschränkungen gefallen, seit gestern Nacht hat auch Norwegen viele Maßnahmen aufgehoben – und in der Schweiz berät heute die Regierung über die nächsten Lockerungsschritte: Bald könnten überall die Masken fallen, auch die 2G- und die 3G-Regeln könnten demnächst aufgehoben werden. Der Anfang einer größeren Bewegung in ganz Europa? Rücksicht auf den StärkerenVielleicht erinnern Sie sich an diesen entsetzlichen Unfall an der Berliner Invalidenstraße, Spätsommer vor zwei Jahren. Ein Fahrer verlor die Kontrolle über seinen SUV und raste in eine Gruppe von Menschen. Vier kamen um, darunter ein dreijähriger Junge und seine Oma. Alles geschah vor den Augen der Mutter. Der Schuldfrage – es geht unter anderem um fahrlässige Tötung – wird heute weiter vor Gericht nachgegangen. Vor wenigen Wochen ließ die Mutter eine Erklärung vor Gericht verlesen, darin hieß es laut »Tagesspiegel«: »Das Auto nimmt alles mit auf seinem Weg.« | | | | | | | | | | | | | Wann sind im Straßenverkehr eigentlich alle so aggressiv und unvorsichtig geworden? Gress/ dpa | | | | | | | | Dieser Unfall, dieser eine Satz, erinnern daran, wie wichtig ein völlig neuer Blick auf den Verkehr und Verkehrspolitik eigentlich wäre. Die Frage ist nicht so sehr, ob SUVs zu groß, zu schwer und zu hässlich sind (was sie sind), oder ob nur Autofahrer und -fahrerinnen aggressiv, unvorsichtig und ungeduldig sind (was sie nicht sind), sondern warum unsere Straßen zu Dschungeln geworden sind. Mich persönlich würde das sehr interessieren, da es gefühlt kaum einen Tag gibt, an dem ich nicht fast überfahren werde; von anderen Radfahrern angefahren werde, für die eine rote Ampel nur eine von vielen Optionen ist; Fußgänger vor sich selbst schützen muss; oder von einer Autotür erschlagen werde. Dabei schert es leider zu oft niemanden, ob hinten noch ein Kind sitzt oder nicht. Laut Statistik geht die Zahl der Unfallopfer im Straßenverkehr zwar zurück, aber unter Fahrradfahrern ist sie in den vergangenen Jahren gestiegen. Mich würde in diesem Zusammenhang interessieren, warum es eigentlich so selbstverständlich ist, Rücksicht auf die starken Verkehrsteilnehmer zu nehmen. Müsste das nicht umgekehrt sein? Der Verkehr wäre ja vielleicht mal ein interessantes Projekt für einen Verkehrsminister. Von dem Neuen hat man bisher auch noch nicht viel gehört – was macht der eigentlich so? Verlierer des Tages…… sind Ricarda Land und Omid Nouripour. Die Parteilinke und der Realo-Außenpolitiker wurden am Wochenende auf einem Online-Parteitag als neue Vorsitzende ihrer Partei gewählt. Doch Anhänger der Grünen sind offensichtlich noch nicht so überzeugt von dem Führungsteam, wie eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey für den SPIEGEL ergab. | | | | | | | | | | | | | Hauptsache, die gute Laune nicht verlieren: Omid Nouripour und Ricarda Lang bildgehege / imago images/Bildgehege | | | | | | | | Nur die Hälfte der Befragten hält Lang und Nouripour für die richtige Wahl für den Posten. 16 Prozent finden, dass die beiden die falsche Wahl seien, der Rest war unentschieden. Die Fußstapfen, in die Lang und Nouripour treten, haben eine beachtliche Größe, schließlich haben ihre Vorgänger Annalena Baerbock und Robert Habeck die Partei in eine Regierung geführt. Und möglich, dass viele Sympathisanten das Duo noch nicht so gut kennen. Doch dieses Maß an Skepsis beim Antritt eines neuen Jobs ist schon bemerkenswert. Wie ging das Sprichwort noch? Wer Parteianhänger hat, braucht keine Feinde? | | | | | | | | Die jüngsten Meldungen aus der NachtJustiz geht gegen Holocaust-Relativierung bei Corona-Demos vor: Immer wieder werden Teilnehmer von Protesten gegen die Pandemie-Maßnahmen mit abgewandelten »Judensternen« gesichtet. Diese Symbole könnten laut Behörden volksverhetzend sein. Erste Verfahren laufen bereits US-Pharmakonzerne zahlen 590 Millionen Dollar an Ureinwohner: In der Affäre um süchtig machende Schmerzmittel haben sich vier Pharmakonzerne zur Zahlung von über einer halben Milliarde Dollar an amerikanische Ureinwohner verpflichtet. Mehr als 400 Stämme hatten geklagt Schwarzer Football-Trainer verklagt NFL wegen Diskriminierung: Der jüngst gefeuerte Football-Coach Brian Flores erhebt schwere Rassismusvorwürfe gegen die Liga NFL und einzelne Teams – und fordert Schadensersatz | | | | | | | | Die SPIEGEL+-Empfehlungen für heuteIch wünsche Ihnen einen guten Start in diesen Mittwoch. Ihre Özlem Topçu | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Jetzt laden: Die SPIEGEL-App für iOS und Android | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | DER SPIEGEL GmbH & Co. KG Ericusspitze 1 • 20457 Hamburg Tel. 040 3007-0 E-Mail: spiegel@spiegel.de
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